Eine Grenzposition und ein Beitrag zur Wiederbelebung der Portraitkunst kommt sicherlich dem zwischen 1965 und 1973 von Georg Meistermann gemalten Bildnis des Bundeskanzlers Willi Brandt zu, das bezeichnenderweise den Titel trägt:
"Farbige Notizen zur Biographie des Bundeskanzlers Brandt".

Meistermann hat die Wiedergabe der Physiognomie des Bundeskanzlers auf nur noch wenige, erkennbare Gesichtszüge reduziert, die sich in einem Meer von irisierenden, flirrenden Farben auszulösen scheinen. Hier wird die Farbe als ein der Schrift vergleichbares Medium angesprochen, mit deren Hilfe Inhalte transportiert werden, die nur auf diese Weise mitgeteilt werden können, die der Portraitkunst Aspekte gewinnen, die weder durch die Fotografie noch heute durch den Computer erbracht werden können.

Die dieser Darstellung zugrunde liegenden Theorien zur Farbe und ihrer Bedeutung weisen einen möglichen Weg für die moderne Portraitmalerei, der auch für die Arbeiten Andreas Bruchhäusers von Bedeutung ist, denn auch er benutzt bei seinen Portraits die Farbe in zweifacher Weise.

Bleibt sie in den frühen Selbstbildnissen noch durchaus an die Realität vorgefundene Farbe gebunden, Gegenstandsfarbe also, so gelingt es ihm zunehmend sie gleichzeitig auch als reinen Farbwert, als Farbe an sich, mit ihrer je spezifischen Ausstrahlung und raumschaffenden Wirkung einzusetzen und den Zusammenhang Farbe - Raum - Licht deutlich werden zu lassen. Indem er die Wiedergabe der Physiognomie von Gesicht und Händen durch eine traditionelle perfekte Malweise ein hohes Maß an Realitätsnähe verleiht, Inkarnat, Haare und Körperlichkeit so mit Farbe modelliert, macht er uns glauben, die Person vor uns zu haben.

Indem er sie aber anderseits in lichtdurchflutete, allein aus der Farbe und durch die Pinselführung geschaffene, imaginäre Farbräume stellt, große Teile des Körpers dabei wieder verdeckend, gibt er den Bildern eine andere zusätzliche Dimension. Hier hat die Farbe ihre Gegenstandsgebundenheit aufgeben, ist sie nicht mehr Gegenstandsfarbe, sondern Raum und Licht schaffendes, auf die Psyche des Menschen zielendes Medium.

Dieser dualen Vorgehensweise des Künstlers liegt die Überzeugung zugrunde, dass der Mensch nicht nur in einem äußeren, realen Raum lebt, sondern ebenso in den aus seiner Verfasstheit und Psyche erwachenden, inneren Seelenwelten.
Unter gleichzeitiger Beibehaltung des Wiedererkennungseffektes, gelingt es dem Maler etwas über den Portraitierten, sein Wesen auszusagen, sein Portrait abstrakt und realistisch, traditionell und avantgardistisch zugleich zu gestalten.

Dr. Ulrike Fuchs, Kunsthistorikerin, Westerburg

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